est. 2017

Als ich vor kurzem auf einem Kunstfest meine Arbeiten ausgestellt habe, wurde mir öfter gesagt „Du hast aber Talent“. Im ersten Moment klingt das ja erstmal wie ein schönes Kompliment. Aber das Thema hat mich seit dem nicht mehr losgelassen. 
Habe ich es wirklich meinem Talent zu verdanken, dass ich heute als Fotografin erfolgreich bin? Sehe ich dank meines Talents die Welt auf diese besondere Weise und schaffe es dadurch die Fotos zu machen, die ich jeden Tag mache? 

Ich glaube ganz ehrlich nein.

Ich bin schon der Meinung, dass es Menschen gibt, die beispielsweise ein besonderes Verständnis für Zahlen haben. Andere sind feinfühliger und empathischer als die meisten. Andere Menschen nehmen Musik ganz anders wahr oder haben ein besonders Auge für Farben und Formen. Also ja, ich glaube schon, dass jeder Mensch Talente hat. Aber das alleine reicht nicht.

Ich habe mal meine allerersten Fotos durchforstet. Angefangen habe ich mit einer Einwegkamera. Die Fotos davon habe ich digital nicht zur Hand. Aber kurz danach bekam ich meine erste Digitalkamera. 
Wenn ich mir diese Fotos so ansehe, muss ich feststellen, dass ich angefangen habe wie jeder, der das Hobby Fotografie für sich entdeckt. Ich hatte keine Ahnung vom manuellen Fotografieren, vom Bildaufbau. Ich habe nicht verstanden, wieso manche Bilder unscharf waren, wieso der Fokus total falsch saß. Ich dachte lange Bildbearbeitung brauche ich nicht. Die Fotos haben teils Farbstiche, weil mir der Weißabgleich kein Begriff war. Und natürlich habe ich lange die Fotos mit einem richtig hässlichen Wasserzeichen versehen. 

Talent hat man, oder eben nicht. Oder? Talent

Neben den typischen Anfängerfehlern fällt mir noch etwas auf

Jeder Mensch nimmt die Welt um sich herum anders und ganz individuell wahr. Und deshalb ist auch ein Foto vom selben Motiv bei jedem Fotografen ganz anders (selbst, wenn man versucht den Stil eines anderen Fotografen zu imitieren). 
Die Art und Weise, wie ich die Welt wahrnehme, kann ich selbst auf meinen ersten Fotos erkennen.
Ich sehe, dass mich schon immer interessantes, manchmal schwieriges Licht fasziniert hat.
Als ich angefangen habe Menschen zu fotografieren haben mich vor allem die kleinen Zwischenmomente begeistert. 
Wenn ich mich getraut habe (das war nicht immer der Fall) bin ich auch schon immer gerne ganz nah ran gegangen für ein Foto.

Hier siehst du mal eine kleine, bunt gemischte Auswahl meiner ersten Fotos. Es gibt natürlich noch viel mehr überbelichtete, fehl fokussierte oder auch unvorteilhafte Fotos. Manchmal gelang mir auch ein Glückstreffer, wie mit den Wolken. Das war aber reiner Zufall, dass Belichtung und Co. gepasst haben. 

Irgendwann wurden meine Landschafts- und Detailfotos etwas besser. Ich wusste langsam, wie man manuell fotografiert, wie man die Kamera einstellt. Ich habe schon mal was von Bildaufbau gehört. Da habe ich mich an den ersten Porträts versucht. 

Meine erste Hochzeit

Meine erste Hochzeit war die von Freunden. Die beiden hatten keinen richtigen Hochzeitsfotografen. Ein Freund hat noch fotografiert. Da habe ich angeboten, auch Fotos zu machen. 

Mit dem heutigen Wissen und der heutigen Erfahrung würde ich einiges anders machen. Aber auch schon damals waren mir z.B. die Gratulationen wichtig. Was gibt es Schöneres als ein Foto von deinem Opa, der dir gratuliert und dabei über beide Ohren strahlt?
Mir war es wichtig nicht nur Bestandsaufnahmen von dem Tag zu machen, sondern ihn so festzuhalten, wie er sich angefühlt hat. Auch die ungestellten Momente während der Reportage haben mich schon immer besonders angezogen. Das, was mich antreibt, was mir wichtig ist, ist auch in meinen ersten Fotos zu sehen. Das wusste ich damals nur nicht, bzw. es war mir nicht bewusst.

 

Talent hat man, oder eben nicht. Oder? Talent
Mutter und Tochter spielen mit Lolli

Talent oder doch etwas anderes?

Wie oben geschrieben glaube ich, dass jeder bestimmte Neigungen, vielleicht auch Talente hat.
Wie ich die Welt sehe, wie ich Menschen sehe, Momente, Details, Licht, das war schon immer da. Der große Unterschied zu damals ist, dass ich heute weiß, wie ich das, was ich sehe, auf einem Foto abbilden kann.
Ich kann durch bestimmte Techniken nicht nur erzählen, wie es aussah, sondern wie es sich angefühlt hat. Wenn ich die Kamera in die Hand nehme, muss ich nicht mehr aktiv darüber nachdenken was ich wann wie einstelle. Es ist für mich gewissermaßen wie Atmen. 

Das alles habe ich vor allem harter Arbeit zu verdanken. Ich bilde mich regelmäßig fort, belege Kurse, analysiere meine Arbeit kritisch und versuche bei jeder Reportage ein bisschen besser zu sein als bei der letzten. 

Worauf ich hinaus möchte

Ich möchte damit vor allem auf eines hinaus. Viele lassen sich einschüchtern und verunsichern, wenn sie jemanden sehen, der großartige Arbeit leistet, ein Instrument besonders gut spielt, besonders gut auf der Bühne reden kann oder eben auch besonders gut fotografiert. 
Was viele dabei aber vergessen, jeder fängt mal klein an. Talent alleine reicht nicht aus und ist auch nicht entscheidend. 
Wenn jemand etwas besonders gut kann oder mit etwas sehr erfolgreich ist, dann steckt dahinter vor allem harte Arbeit.